Sonnabend,
9. Juli 2005
20.00 Uhr
Hochschule für Musik und Theater
“Felix Mendelssohn Bartholdy” Leipzig
Großer Probesaal
Dittrichring 21
Mitwirkende:
Mareike Schellenberger – Gesang
Jana Ressel – Choreographie und Tanz
Bernhard Kastner – Klavier
Anja-Christin Winkler – Regie
Horst Theurich – Licht
Im
Anschluss an die Vorstellung laden wir zu einem kleinen
Sektempfang ins Café TELEGRAPH gegenüber.
„Dichterliebe“
op. 48
1.
Im wunderschönen Monat Mai
2. Aus meinen Tränen spriessen
3. Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne
4. Wenn ich in deine Augen seh'
5. Ich will meine Seele tauchen
6. Im Rhein, im schönen Strome
7. Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht
8. Und wüßten's die Blumen, die kleinen
9. Das ist ein Flöten und Geigen
10. Hör' ich das Liedchen klingen
11. Ein Jüngling liebt ein Mädchen
12. Am leuchtenden Sommermorgen
13. Ich hab' im Traum geweinet
14. Allnächtlich im Traume seh' ich dich
15. Aus alten Märchen winkt es
16. Die alten, bösen Lieder
Schumanns
„Dichterliebe“ op. 48
Hans
Joachim Köhler
Schumann braucht das dichterisch veredelte Wort, in das
er seine Gedanken fassen will. Die brutale verbale Direktheit
des Gerichts-Prozesses, zu dem Schumann gezwungen wird,
um seine Liebe zu Clara einzuklagen, macht es ihm bewußt.
Er sucht es bei Heine, Rückert, Eichendorff, Andersen,
Chamisso, Goethe, Geibel, Kerner und „verdichtet“
es musikalisch in der Form des Liedes, das in „Liederjahr
1840“ 140 unnachahmliche Ausprägungen erfährt.
Und er unterwirft es zugleich Sinngebungen, die nur einem
Dichter in Tönen erreichbar sind. Er komponiert Visionen
der Zukunft. In der „Dichterliebe“ ist es der
Alptraum, daß die Braut mit einem anderen vermählt
wird. Dem Liebenden gelingen Verzicht und Selbsterhalt durch
Verzeihen; Bewältigung wird sublimiert durch Traum
und Selbstironie, die bei Schumann jedoch nahe an der Tragik
bleibt.
Im Mai 1840 filtert er aus den 66 Gedichten des Heinrich
Heineschen „Lyrischen Intermezzo“ sechzehn aus,
die er zur geschlossenen zyklischen Gestalt fügt.
Vom Geständnis, vom Sehnen und Verlangen (Nr. 1) geht
der Zyklus aus. In Nr. 2 wird das romantische Symbolfeld
ausgebreitet: Tränen sind Blumen, Seufzer sind Nachtigallen.
Deren Lied besitzt erlösende Kraft. Alle poetischen
Symbole vereinen sich in der geliebten Gestalt der „Kleinen,
der Feinen, der Reinen, der Einen...“ (Nr. 3). Der
Blick in die Augen (Nr.4) ist der Moment der tiefsten Innigkeit,
aus ihm ringt sich das Bekenntnis los „Ich liebe dich“,
- voll bitterer Ahnung. Die in den „Kelch der Lilie“
(Nr. 5) getauchte Seele ist gleichsam metaphorische Vereinigung
- doch gilt die Lilie nicht auch als Symbol des Todes? „Im
Dom, da steht ein Bildnis“: - es ist Maria, „unsre
liebe Frau“.
Sie wird zur Angebeteten, die zugleich Sehnsucht und Unberührbarkeit
verkörpert. Das spaltende Ereignis wird nicht als Untreue
erlebt, sondern als Zwang, der die „Nacht in ihres
Herzens Raume“ erzeugt. „Ich grolle nicht“
ist die das Ich verleugnende Antwort. (Nr. 7). Die Blumen,
„sie würden mit mir weinen“ (Nr. 8). Die
Hochzeit mit dem anderen: die Melodie des Ichs bleibt außen,
jenseits des Hochzeitstanzes (Nr. 9). Das Lied, „das
einst die Liebste sang“, wird ersehnt, doch erst im
Nachspiel des Klaviers erhält es Raum, als Nachklang
der Seele (Nr. 10). Wie befreit sie sich? Heines Ironie
lenkt auch den Komponisten-Dichter auf die „alte Geschichte“:
„Und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei“.
Nur Flucht ist möglich, in die Sprache der Blumen,
in deren Flüstern und Bitten, er solle ihrer Schwester,
der Braut, nicht gram sein (Nr. 12). Gedankenarbeit drängt
sich in den Traum, aus dem er weinend aufwacht (Nr. 13).
Auch der „freundliche Traum“ (Nr. 14), in dem
sie freundlich grüßt, endet bitter. „Das
Wort hab’ ich vergessen“ - drei Anschläge
im Nachspiel. Sie klingen wie in Nr. 4 „ich liebe
dich“ (Nr. 14). In den „irren wirren Kreis“
gerät der Leidende, und die Fata morgana „zerfließt
wie eitel Schaum“ (Nr. 15). Zwölf Riesen tragen
den Sarg, in dem die bösen Träume begraben werden.
Er ist so schwer, weil auch die Liebe und der Schmerz hineingesenkt
werden (Nr. 16). Das Nachspiel ist reich an Assoziationen.
„Sei unserer Schwester nicht böse“ - aber
auch die Kadenz des Klavierkonzertes, in dem er von Clara
spricht, klingt an.
H
E R Z E N S N A C H T
Anja-Christin
Winkler
Es ist eine Magie, die von der „Dichterliebe“
ausgeht. Zwar ist sie, wie jede Musik, ihrer Zeit verhaftet,
doch leuchtet etwas hindurch, was uns ganz direkt anspricht,
unmittelbar berührt. Wie ist es möglich, dass
eine Musik über 150 Jahre nach ihrer Entstehung so
stark wirken kann?
In
seiner Jugend wurde es Schumann schwindlig als er einmal
von einer Brücke das Fließen eines Flusses betrachtete.
Er sah darin den unerbittlichen Zeitfluss, der gnadenlos
alles Seiende hinwegrafft und versinken lässt. In einer
Vision glaubte Schumann, der Fluss stünde still, und
er wäre es, der sich gegen den Strom bewege.
Es galt Schumann als künstlerisches Ideal, sein Werk
aus dem Strom der Zeit herauszuheben, ewig Gültiges
zu schaffen. In der „Dichterliebe“ wird die
Verletzbarkeit des Menschen beschrieben, die Deklination
der Gefühle in allen Phasen und Nuancen ergreift uns
durch die Aufrichtigkeit ihrer Darstellung. Als Voyeure
blicken wir auf die leidende Seele, die sich ohne Scheu
dem Betrachter öffnet, uns dadurch unmerklich in ihren
Bann zieht und allmählich in uns jene Seiten zum Schwingen
bringt, die zu zeigen wir uns heutzutage abgewöhnt
haben. Jenseits jeglicher Sentimentalität erwacht und
erfüllt sich beim Hören eine Sehnsucht nach tiefer
liegenden Gefühlsebenen, die von der
fun-Gesellschaft diffamiert und als Schwäche deklariert
werden.
Biografische,
geschichtliche und ästhetische Ebenen überlagern
und durchdringen einander in der „Dichterliebe“.
In dem Musiktheaterstück, das wir gemeinsam in einem
einjährigen Prozess erarbeiten wollen, könnten
diese Ebenen und Aspekte mit einfließen.
Es
ist erstaunlich, dass Schumann diesen traurigen Zyklus in
einer sehr glücklichen Zeit komponierte: zwei Monate
vor der gerichtlichen Einwilligung in die Hochzeit. Es ist
anzunehmen, dass er hier die Gefühlszustände,
an denen er während der erzwungenen Trennung von Klara
zu leiden hatte, im Nachhinein psychisch verarbeitet.
Das
erzählende Subjekt, der romantische Künstler,
lässt die Erwählte eine Metamorphose durchleben:
aus der Geliebten wird die Muse, die, zur Heiligen stilisiert,
sich anschließend als Schlange entpuppt. Wir erleben
die Gefühle, die die Frau im Künstler auslöst.
Sie selbst als
Charakter bleibt kontur- und gesichtslos, ist nur Hülle,
Dienende dem „Künstler-Gott“.
Der
Traum als Fluchtmöglichkeit vor dem Weltschmerz, das
jähe Umschlagen von Glück in Schmerz sind romantische
Topoi, die Heine im Text verwendet, ebenso die bildlichen
Motive: Tränen, Rosen, Lilien, Nachtigall, der Unglückliche,
der die Geliebte, tanzend mit dem anderen, durchs Fenster
beobachtet etc. Für die szenische Umsetzung könnten
auch andere romantische und von Schumann verwendete Motive
Eingang finden, wie z.B. das Maskenmotiv und das Motiv des
Doppelgängers. Schumann erfand als Musikkritiker verschiedene
Figuren (Eusebius und Florestan, etc.) als fiktive Personifizierungen
seines Ichs. Die Anwendung dieses Prinzips der Figurenspaltung
in verschiedene Aspekte würde sich für eine Dramatisierung
anbieten.
Mit
dem Blick und den Erfahrungen der Moderne wollen wir uns
mit Robert Schumann, seiner musikwissenschaftlichen Bedeutung,
seiner Kompositionsweise, seiner Biografie, seinen Träumen
und seinen Widersprüchen auseinander setzen. Natürlich
kann es nicht darum gehen, eine „gültigere“
Version anzustreben. Wir wollen vielmehr im gemeinsamen
Dialog eine musiktheatrale zeitgenössische Reflexion
entwerfen. In diesem Musiktheaterstück, für das
ein Gattungsbegriff noch gefunden werden muss, wird sich
unsere Verehrung für den großen Künstler
widerspiegeln.
Unser
Arbeitsprozess wird von einer Reihe von Veranstaltungen
begleitet, in denen wir werkstattartig den Stand unserer
Suche darstellen. Den Anfang des Projekts bildet der Abend
„Herzens Nacht“: Das Ergebnis unserer ersten
Annäherung ist eine szenische Interpretation des originalen
Liederzyklus.
Florestan
und Euseb ist meine Doppelnatur
Peter
Rummenhöller
Wenn Schumann von Florestan und Eusebius als seiner Doppelnatur
spricht, die Raro zur Synthese bringt, wenn er sie als die
"Verschleierten" bezeichnet, so spricht er hier
zwei besonders typische Motive der Romantik an. "Doppelnatur"
und "die Verschleierten" kennt die romantische
Literatur als Doppelgänger-. oder Zwillings-Symbolik
und als Maskenmotiv. Dieses wiederum ist Grundmotiv der
romantischen Maskenball- und Karnevalssituationen, denen
wir in Schumanns Kompositionen mehrfach begegnen. Diesen
romantischen Motivkomplex Doppelgänger-Maskenball entlehnte
Schumann zweifellos den Werken Jean Pauls durch genaue Kenntnis
und große Verehrung. So wie die Romantik sah Jean
Paul die Welt als eine gespaltene, gebrochene an, und seine
Sehnsucht, wie die der Romantik, galt einer ganzen Welt,
von der in einer fernen Vergangenheit anzunehmen ist, daß
sie einmal in Einheit bestanden habe. Romantische Sehnsucht,
romantisches Leiden, der "Weltschmerz", richtete
sich auf diese verlorene Einheit. Die Motive des Doppelgängers,
die Zwillinge, des Maskenballs und der Maske sind nichts
anderes als Symptome, Ausdruck des Leidens an der Spaltung
der Welt und der Sehnsucht nach ungebrochener Einheit. Die
gegenwärtige Erscheinung der Welt aber wird als "Schein"
denunziert: das Leben ein Maskentanz und die Maske als Ausdruck
des Identitätsproblems. Für die romantische Weltanschauung
ist das Leben ein Reigen trügerischen Scheins.
Biographien
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Mareike Schellenberger –
Gesang – studierte Musik- und Tanzerziehung
(Rhythmik) in Essen, sowie Gesang in Leipzig (Prof.
Hans-Joachim Beyer) und Zürich (Christoph Prégardien).
1996 erste eigene Choreographien mit Bewegung und
Stimme. Seit 1998 Gastverträge an den Opern
Schwerin und Luzern. Konzerttätigkeit als Lied-
und Oratoriensängerin in ganz Europa u.a. mit
dem Polnischen Kammerchor, dem Gewandhausorchester
Leipzig, MDR-Orchester, Zürcher Kammerorchester,
Camerata Zürich und Musikkollegium Winterthur.
Gegenwärtig Lehrauftrag für Gesang an
der Hochschule für Musik und Theater Leipzig.
Eigene Produktionen als Sängerin/Tänzerin
in Deutschland und der Schweiz. Rundfunk- und CD-Aufnahmen
( MDR, NDR, Deutschlandradio Berlin).
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Jana Ressel – Choreographie und Tanz –
erhielt ihre Ausbildung Klassischer/ Moderner Tanz
und Pädagogik sowie Choreographie (Diplom) in
Lübeck, der Paluccaschule Dresden sowie an der
Hochschule für Musik und Theater “Felix
Mendelssohn Bartholdy” Leipzig. Studienaufenthalte
führten sie u.a. nach New York und Wien. Sie
tanzte u.a. mit dem Tanztheater Lübeck, der Modern
Dance Companie Frankfurt/Main. Sie inszenierte eine
Reihe von eigenen Choreographien, z.B. das Tanzstück
„Crido“ zum Festival für Zeitgenössische
Musik in Würzburg. Jana Ressel ist derzeit als
Tänzerin freischaffend tätig, hat einen
Lehrauftrag für Bühnentanz und Bewegung
an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater,
gibt Workshops für Modernen Tanz in Weimar, Dresden
und Stuttgart.
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Bernhard Kastner – Klavier –
begann sein Klavierstudium bei Alfons Kontarsky in
Köln und setzte es bei Paul Badura-Skoda in Essen
fort. Mit dem Konzertexamen (“mit Auszeichnung”)
schloss er es 1989 in Hamburg bei Evgenij Koroliov
ab. Es folgten Lehraufträge an den Musikhochschulen
Hamburg und Saarbrücken. Seit 2000 unterrichtet
er Liedgestaltung und instrumentale Korrepetition
an der Hochschule für Musik und Theater “Felix
Mendelssohn Bartholdy” Leipzig. Konzertreisen
führten Bernhard Kastner in viele Länder,
Rundfunkaufnahmen und Live-Mitschnitte bei deutschen
und ausländischen Radiosendern sowie CD-Produktionen
als Solist und Kammermusiker zeugen von seinem breitgefächerten
Repertoire, das von Barockmusik bis zur neuesten Musik
reicht.
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Anja-Christin Winkler – Regie –
studierte Musiktheaterregie an der Hochschule für
Musik und Theater Hamburg bei Prof. Götz Friedrich
und schloss das Diplomstudium mit Auszeichnung ab.
Anschließend war sie zwei Jahre als Regieassistentin
am Nationaltheater Mannheim engagiert. Es folgte ein
Aufbaustudium Medienregie an der Hochschule für
Musik "Hanns Eisler", Berlin, bei Prof.
G. Mielke. Sie arbeitet als freie Mitarbeiterin für
EuroArts International, Leipzig, inszenierte kleinere
Fernsehbeiträge (MDR, ORB) und verschiedene Musiktheaterstücke
u.a. „Orpheus“ von Monteverdi in Hamburg.
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